Der Unfall von Heinz-Dieter Keßler am Sachsenring 1987 und seine Folgen


Autor: Jürgen Meißner
Fotos und Informationen Wolfgang Hallmann/Hohenstein Ernstthal

Es ist Sonntag, der 12.07.1987. Immer wieder hat es geregnet und die Rennstrecke am Sachsenring ist an vielen Stellen noch nass. Wir ziehen Regenreifen auf, da die Stellen, wo noch Pfützen sind, nicht auszumachen sind.

Endlich ist es so weit. Die Rennwagen stehen an Start und Ziel. Noch 60 Sekunden: Rot - Gelb - Start! Ohrenbetäubender Lärm erfüllt den Raum zwischen Rennwagen und tausenden Zuschauern. Ich komme gut weg und liege an der 5. Position. In der Rechtskurve, kurz nach Start und Ziel, haben sich die Rennwagen eingefädelt; Melkus führt vor Kessler. Dicht hintereinander, Spitze an Heck, jagen die Fahrzeuge in die Stadt. Abgesehen von den Strohballen an einigen Masten lädt die Straße eher zum Sonntagsausflug ein. Wir denken nicht daran, haben doch alle führenden Rennfahrer diese Strecke schon dutzende Male durchfahren, immer mit dem Ziel, da und dort noch zehntel Sekunden schneller zu werden. 

Endlich ist die Kurve am Badberg in reichbare Nähe gekommen, als dicht vor uns Teile durch die Luft geschleudert werden und ein Rennwagen, durch die Luft fliegend, links auf der Straße aufschlägt. Fast ziehe ich den Kopf ein, da es den Anschein hatte, wir ersten Fünf fahren unter dem, durch die Luft katapultierten, Fahrzeug hindurch.

Was war passiert? Hans-Dieter Kessler, bekannt durch seine knallharten, spektakulären Rennen mit seinem Zastava (88), wollte an diesem Tag zeigen, dass er für Ulli Melkus als Neueinsteiger im Formelrennsport ein ernstzunehmender Gegner ist. So fuhr er besonders risikobereit, und schon in der Rechtskurve am Rosa-Luxemburg-Platz kam er ins Schleudern und verlor Zeit. Das versetzte ihn in Zugzwang, noch aggressiver zu fahren. Dann kurz vor der Rechtskurve zum Badberg, oberhalb des "Albertschlösschens", verhakten sich seine Vorderräder mit den treibenden Hinterrädern eines inzwischen neben ihm fahrenden Rennwagens und es kam zum üblichen "Aufsteige - Effekt".

Die Spitze hebt sich schlagartig an und der Rennwagen fliegt regelrecht durch die Luft. So auch der von Hans-Dieter. Wer in diesem Moment der Betroffene ist, kann man bei 170 km/h nicht ausmachen.

Das Rennen geht weiter. 'Immerhin, ein vorausfahrendes Fahrzeug weniger und damit eine Position weiter vorgerückt', so denke ich. Also geht alles seinen gewohnten Gang, wir jagen dem bestmöglichen Patz entgegen.

Als ich nach der ersten Runde Start und Ziel erreicht habe, wird die rote Flagge gezeigt - Rennabbruch! Also doch ein schwerer Unfall! Da die Möglichkeit in diesem Jahr noch nicht gegeben war, gleich nach dem Ziel ins Fahrerlager abzubiegen, müssen wir die Rennstrecke durchfahren. In der Nähe der Unfallstelle ist die Rennstrecke bereits mit Helfern und Ordnern abgeriegelt. Ich halte ca. 50 Meter von der Unfallstelle entfernt an (Bild 1, rechts unten). Jetzt erst erfahre ich, dass H.-D. Kessler der Unfallpilot war und Ulli Melkus eine Runde später das Chaos komplett macht. Wie kam das alles?



Ich resümiere: Die Rennwagen, die nach mir im Rennen fuhren, mussten nach dem Aufschlag des Rennwagens sofort angehalten haben, da die Strecke mit Teilen und Splittern übersät war. Das habe ich nicht mehr wahrgenommen, da der Rennwagen neben mir aufschlug.

 

 

Ulli Melkus, der das kleine Feld an der Spitze anführte, fährt die Runde voll durch, da es keine ausreichende Kommunikation zwischen der Unfallstelle und Start und Ziel gab. Statt ihn dort abzuwinken, rast er ungebremst in die Stadt und nimmt erst in letzter Sekunde den Unfall wahr, von dem er bis dahin nichts wusste. Während des Bremsmanövers kollidiert er mit der Hausecke des "Albertschlösschens", nachdem er den agierenden Helfern ausweichen musste (siehe Foto links - genau in dieser Sekunde aufgenommen).

Nach diesem Crash, der seinen Rennwagen gehörig demoliert, steigt Ulli Melkus aus, läuft zu dem letzten Streckenposten, der ihn hätte mit der roten Flagge zum Stehen bringen müssen und gibt ihm eine Ohrfeige. Dafür und dass er in der Stadt bald einen weiteren (Anmerkung: unverschuldeten) Unfall verursacht hätte, wird er bis nach Mitternacht von den Staatsorganen festgehalten und verhört.

An der Unfallstelle liegt der Rennwagen als ein Bündel Schrott, der von den Helfern wieder auf die beiden, verbliebenen Räder gestellt wurde. Sofort will ich den Rennwagen sehen und mich nach Hans-Dieter Kesslers Befinden erkundigen. Es wird mir von den Streckenposten versichert, dass er zwar ohnmächtig war, aber den Unfall ohne größeren Verletzungen überstanden hat.

Plötzlich kommt der Vorsitzende der Kommission Technik, Gerhard Hubrich, auf mich zu und sagt: "Hoffentlich hat Dein Sicherheitsgurt gehalten!" Noch an Ort und Stelle prüft er den Gurt und das Schloss, es ist alles noch in Ordnung, mein neu entwickelter 6-Punkt-Sicherheitsgurt hat diesem Fahrer das Leben gerettet!

Als begeisterter Fotoamateur und Chronist der Rennen suche ich nach einem Fotografen, der die Bilder des Unfalls mit seiner Kamera festgehalten hat. Die Person, die gerade aus dem ersten Stock des neben der Unfallstelle stehenden Gebäudes Aufnahmen schießt, wird von einem Zivilbeamten aufgefordert, sofort das Fotografieren einzustellen und den Film herauszugeben. Wie diese Situation später ausgegangen ist, weiß ich nicht.

Am selben Haus, an der Wand, sehe ich in der Höhe von ca. 2,30m den Radabdruck vom Rennwagen H.-D. Kesslers. Das ist ein Flug gewesen, den man unter den damaligen Bedingungen der Sturzräume nur schwer überlebt hätte. Hans-Dieter Kessler hatte offensichtlich mehrere Schutzengel und meine Sicherheitsgurttechnik.

Als ich später im Fahrerlager eintreffe, erhalte ich von drei Sportfreunden sofort Aufträge, einen solchen Sicherheitsgurt für sie herzustellen. Der Ausgang dieses Unfalls war die beste "Reklame" für diese Innovation.

Das Rennen, üblicherweise als Aufzeichnung, wurde natürlich nicht vom DDR-Fernsehen gesendet. Der Kommentator in den Abendnachrichten konstatierte einen Unfall, nachdem das Rennen abgebrochen worden sei ...

Unfälle, oder sogar Todesfälle, passten zu keiner Zeit in die sozialistische Sportwelt.


Die Presse notiert dazu: