Profi-Rennfahrer Jochen Mass gibt DDR-Formel-Rennwagen den "Ritterschlag"


Auto: Frieder Kramer †

... das wurde unter anderem vom TV-Sender VOX in einer Sendung über den DDR-Formelrennsport behauptet. Als Techniker und Rennfahrer in dieser Zeit habe ich zur Kenntnis genommen, dass der Redakteur dieser Sendung es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, wenn es um eine verkaufbare Story geht.
Wir Ostdeutschen finden uns in diesem Streifen in der Rolle der Ostfriesen wieder, die wir nach der Wende einzunehmen hatten und vom Redakteur gekonnt am "Köcheln" gehalten wird.

Diesen Eindruck gewinnt der Betrachter bei der Vorstellung der Hauptdarsteller:

Der Konstrukteur schafft es nach der Wende lediglich zum Autolackierer, der Fahrer produziert eine Firmenpleite und der "Ecclestone des Osten" verdient seine Brötchen mit Grenzgängerei. Dazu passend ist auch die Behauptung, der westdeutsche Profirennfahrer Jochen Mass hätte 1977 zur Abstimmung des DDR-Rennwagens beigetragen. Bei einer ungewollt fehlerhaften Recherche hätte man bei der vagen Bestätigung von Jochen Mass (die von ihm bestimmt erwartet wurde, und er diese nur in der Möglichkeitsform gab) stutzig werden müssen.

Mit dieser Einschätzung und mit einem angekratzten Image des bisher technisch und fahrerisch hoch von einigen Sportfreunden werde ich bedrängt, mich als Beteiligter zu äußern:

Als Mitglied der DDR-Nationalmannschaft war ich zu allen Rennen in Most/CSSR in den Jahren 1977-1981 als Fahrer dabei und habe zusammen mit meiner Frau und meinen beiden Helfern die im TV genannte Begegnung mit Jochen Mass miterlebt.

Es war im Jahr 1981, als die uns DDR-Fahrern verbotene Kontaktaufnahme von Jochen Mass ernsthaft geprüft wurde. Das Team Joest-Porsche hatte im Fahrerlager schräg gegenüber unseren drei NARVA-Team-MT77-1-Rennwagen seinen Standplatz und auf dem Weg zur Boxengasse musste Jochen Mass unmittelbar an ihnen vorbei.



Autogrammfoto von Jochen Mass als Fahrer der Interserie 1981 in der CSSR

Wie bei einem Foto-Termin ging er auf das erste Fahrzeug von Ulli Melkus zu und wurde sofort halbkreisförmig von "-zig" Fotografen umringt. Ulli Melkus verhielt sich weisungsgemäß und verwies auf den Delegationsleiter. Der Bitte von Jochen Mass, eine Sitzprobe machen zu dürfen (für die Fotografen), wurde entsprochen.

Zu weiteren Gesprächen kam es natürlich nicht, die Aufgabe des Delegationsleiters war es, die Kontaktaufnahme zu beenden.
Eine Probefahrt, ein Ritterschlag oder ein technischem Gespräch zur Abstimmung des DDR-Rennwagens hat hier nicht stattgefunden und ist eine Erfindung des TV-Senders.

Ich persönlich glaube auch nicht, dass wir die Ratschläge "Pi mal Daumen", wie Herr Mass im Film es nannte, gebraucht hätten. Die Kinematik des Rennwagen-Fahrgestells wurde unter meiner Mitwirkung 1977/78 rechnergestützt konstruiert und das Fahrverhalten theoretisch durch Variantenberechnungen optimiert. Der Erfolg des Typs MT 77-1 gab diesen Untersuchen recht und dieses Pilotprojekt war nicht nur in der DDR-Automobilindustrie ein Novum. Zumindest hatten "Garagisten", wie man damals Rennwagenbauer nannte, auf diese Hochtechnologie noch keinen Zugriff.

In genauer Erinnerung blieb diese deutsch/deutsche Begegnung aber aus einem anderen Grund.

Die Ehefrau von Ulli Melkus, Maria, ließ sich von Jochen Mass ein Autogramm auf die Haut schreiben. Das veranlasste die Berliner "Betonköpfe", Ulli Melkus ein Disziplinarverfahren anzuhängen und seiner Ehefrau ein Jahr lang den Zugang zum Fahrerlager der Automobilrennen zu untersagen.

Diese Begebenheit hätte zwar weniger zu dieser TV-Story getaugt, hat uns beteiligte Ostdeutsche aber mehr berührt, als der Fotoauftritt eines Westdeutschen mit uns als Statisten.