Leben im Motorsport


Ehrgeiz, Perfektion und Risiko - Hans-Dieter Kessler oder viel Lorbeer - aber keine Lust, sich drauf auszuruhen

Moto-Cross - Rallye - Trabantrennen - Tourenwagensport - Formel Easter - GranTourismo - Wüstenrennen - und alles mit Erfolg. Zu Zeiten der DDR startete Hans-Dieter Kessler in drei Rennwagen-Kategorien, war mit sechs DDR-Meistertiteln der erfolgreichste Rundstreckensportler der siebziger und achtziger Jahre. "Meister des Sports" heißt seine höchste Auszeichnung. Nach dem Fall der Mauer glänzte er im ADAC-GT-Cup, siegte überlegen im TLRG und beweist seit 2007 seine Begeisterung bei Rennen in der Wüste.

"Na klar schaut man heute etwas wehmütig auf die Zeiten in der DDR zurück. Ich bin sicher, dass Spitzenleuten wie Ulli Melkus oder Bernd Kasper ohne die damaligen Grenzen eine internationale Karriere beschieden wäre. Wir hatten eine - für die damalige Zeit - konkurrenzfähige Technik und konnten bestimmt auch nicht schlechter fahren". Der kleine, drahtige und immer verschmitzt blickende Tabarzer Rennsportler macht keinen Hehl daraus, dass er sich auch selbst diese internationalen Erfolge zugetraut hätte. Die Gewissheit nahm er vor allem aus den ersten Einladungsrennen nach dem Fall der Mauer. "Wir starteten 1990 erstmals auf dem Nürburgring und in Hockenheim in vergleichbaren Klassen und mischten sofort im Spitzenfeld mit." Aber was sollte es - die Blütezeit seiner großen Erfolge erlebte Hans-Dieter Kessler im Osten.

Der sympathische und immer aufgeweckte Motorsportler ist Jahrgang 1942 und stammt aus dem kleinen thüringischen Ort Trusethal. Der dort ansässige Motorsportclub Kali-Merkers war in den sechziger und siebziger Jahren die Moto-Cross-Hochburg der DDR. So verdiente er sich auf zwei Rädern im Gelände die ersten Motorsport Sporen. Irgendwann Ende der sechziger Jahre begann ihn der Autosport mehr zu interessieren und er schrieb sich beim MC Schmalkalden als Rallyefahrer ein. Dort erregte er mit seiner draufgängerischen Fahrweise die Aufmerksamkeit von Helmut Aßmann. Der "Trabant-Papst" war von dem ehrgeizigen Piloten begeistert und holte ihn Mitte der siebziger Jahre als Straßenrennfahrer zum MC Gotha.

Das war der Beginn für eine in der DDR einmalige Karriere. "In der Woche war ich Fuhrparkleiter im VEB Baustoffversorgung und an den Wochenenden ging ich mit einem Zweivergaser-Trabant mit "Aßmann-Power" auf die Strecke und holte mir gleich 1976 den ausgeschriebenen ADMV-Pokal." Nach der Aufwertung der Trabantrennen in eine DDR-Meisterschaft im Jahr 1977 wurde er deren erster Meister. "Ich fuhr in erster Linie gegen mich selbst, indem ich mich zwang, das Gas dort stehen zu lassen, wo andere es wegnahmen. Nur so konnte ich mich bei der Leistungsdichte behaupten." Bis 1981 fügte er so noch einen DDR-Meistertitel hinzu, zwei Vizemeister und einen dritter Platz. "Meine Hauptkonkurrenten waren Helmut Aßmann selbst, Karl Hiemisch und Klaus Schumann - alles mit Lorbeer gekrönte Häupter."



Für einen, der wie Hans-Dieter Kessler immer nach Höherem strebt, musste nach diesen Titeln eine neue Herausforderung her. Das ist bis heute sein Credo geblieben. "Bedingungsloser sportlicher Ehrgeiz, gepaart mit technischem Verständnis sind die Voraussetzungen für Erfolg im Motorsport. Das galt zu DDR-Zeiten und das sehe ich auch heute noch so."

1982 stieg er in die "höhere" Tourenwagenklasse A22 bis 1300ccm auf. Peter Mücke hatte in diesem Jahr seine Rundstreckenkarriere zugunsten seiner Auto-Cross-Leidenschaft beendet und der Thüringer erwarb dessen erfolgreichen "Zastava 101". "Der Zassi" war ein ideales Rennfahrzeug, weil Fahrzeuggewicht und der drehfreudige Motor von Anfang an einen Vorteil gegenüber den üblichen Ladas darstellten. Mir lag das Auto sofort, da ich Frontantrieb gewöhnt war. Die jährlich abonnierten DDR-Meistertitel Nummer Drei bis Sechs in den Jahren 1982 bis 1985 sind dafür ausreichender Beleg. In diesen vier Jahren hatten seine wichtigsten Konkurrenten Klaus-Peter Schachtschneider, Dietmar Isensee oder Sieghard Sonntag (alle Lada) meist nicht den Hauch einer Chance.

Aber wieder hatte Hans-Dieter Kessler eine Grenze erreicht. Sein technisch brillanter Zastava hatte einen entscheidenden "politischen" Nachteil: Im internationalen Wettbewerb "Pokal für Frieden und Freundschaft", eine Art Formel 1 des Ostens, war dieses Auto nicht startberechtigt. Das (jugoslawische) Basisfahrzeug wurde nicht in einem der teilnehmenden Länder produziert. Somit suchte der Thüringer wiederum eine neue Herausforderung.

Jetzt sollte es der Wechsel zu den Formel-Rennwagen sein. Die Klasse E bis 1300 cm³ verkörperte tatsächlich die "hohe Schule" des Rennsports im Osten. Hier waren Fahrer und Fahrzeuge zu schlagen, die auch im osteuropäischen Pokalwettbewerb Spitzenplätze belegten. "Jetzt waren meine Konkurrenten Ulli Melkus, Bernd Kasper und Heinz Siegert, zum Teil Osteuropas beste Rennfahrer." Aber erst galt es noch eine Hürde zu nehmen: Auch der mehrmalige DDR-Meister musste sich für diese "DDR-Königsklasse" qualifizieren. Wie nicht anders zu erwarten, beherrschte er die Leistungsklasse II in seinem neu aufgebauten MT77 souverän und erkämpfe sich so die Fahrkarte für die erstrebte erste Liga im Folgejahr 1986. Der Debütant erreichte auf Anhieb einen achtbaren dritten Gesamtrang hinter Bernd Kasper und Ulli Melkus.

Dafür sollte das darauf folgende Jahr eines der schwärzesten werden. Ein spektakulärer Crash im Rennen auf dem Sachsenring zerstörte sein Auto komplett. Die Meisterschaft musste er abhaken und so konzentrierte er sich darauf, über den Winter einen neuen MT77 aufzubauen. Doch erst 1989 waren Fahrer und Fahrzeug wieder so fit, um noch einmal Formel-Easter-Vizemeister der 1300er Rennwagenklasse zu werden.

Mit dem Fall der Mauer wurde auch für ihn alles anders. "Man muss sich vorstellen, dass sofort alle Sponsoren wegbrachen. Hat man uns als DDR-Sportler im ersten Jahr noch herumgereicht und manches Auge zugedrückt, kam 1991 schon die harte Realität. Die Rennerei kostete richtig Geld. "NARVA" der Hauptsponsor war weg, der Betrieb "Kali Merkers" war weg, die Firma, in der ich gearbeitet hatte war weg und ich musste mir Gedanken machen, wie ich selbst wirtschaftlich weiterkomme." Wie bei vielen anderen Motorsportlern auch, war bei Hans-Dieter Kessler an Motorsport erst mal nicht zu denken. Er orientierte sich beruflich neu und machte sich selbständig. Dabei musste er auch Rückschläge einstecken und fand schließlich ein Geschäftsfeld, das ihm auch wirtschaftlichen Erfolg brachte. "Es war absolutes Neuland, eine Firma mit teilweise bis zu 30 Mitarbeitern zu führen. Ich hatte ja auch die soziale Verantwortung, das hat mich menschlich stark gefordert. Später lief das dann ganz gut mit meiner Firma "Kessler Control & Service", wo wir uns professionell um die Qualitätssicherung in der Auto-Zulieferindustrie kümmerten."



Erst 1993 begann der Tabarzer Mittelständler dann wieder sporadisch mit dem Motorsport. Sein Auto war ein Nissan 200 SX, die Rennserie hieß ADAC-GT-Cup und mehrere Podestplätze bewiesen, dass er nichts verlernt hatte. Sein Sieg in der Division II auf dem Nürburgring gehört zu seinen eindrucksvollsten Erlebnissen. "Das waren schon respektable Motorsportgrößen, mit denen ich da in einem Feld fuhr. Cecotto, Nissen, Grohs, Mamerow oder in meiner Division Widmann und Seher - alles Spitzenleute und es machte Riesenspass." Ein Sieg, zwei zweite Plätze und einmal Dritter waren eine respektable Leistung. Titelchancen hatte er jedoch nicht, da er nur an vier von acht Rennen teilnehmen konnte. "Hier wurde mir aber auch bewusst, dass wir in der DDR trotz der Mangelwirtschaft für uns Sportler optimale Rahmenbedingungen hatten. Wir wurden für alle Trainings und Rennen problemlos von der Arbeit freigestellt, waren automatisch versichert und auch unsere Techniker bekamen in der Regel eine Freistellung. Jetzt musste man sich jeden Start genau überlegen und die Kosten abwägen."

Ab 2004 gab Hans-Dieter Kessler noch einmal ein Gastspiel beim Trabant-Lada-Racing-Cup (TLRC). Mit einem sauber aufgebauten Lada Samara lotete der 63-Jährige das Reglement aus und zeigte, wie man Asphalt brennen lässt. "Das war mal wieder schön und interessant, sich mit alten Bekannten aus dem Rennsport zu treffen. Aber es war letztendlich frustrierend, mir vor leeren Tribünen die Seele aus dem Leib zu fahren." Trotzdem ist er den "DDR-Nachfolgeserien" wie TLRC oder HAIGO gefühlsmäßig sehr eng verbunden. "Ich finde diese Serien sehr wichtig, weil sie deutlich demonstrieren, dass wir in der DDR trotz der bestehenden Verhältnisse sehr qualifizierten Motorsport betrieben haben. Das kann man schon an der Vielzahl und Bauweise der Rennfahrzeuge sehen und deshalb sollten diese auch auf den Strecken gezeigt werden." Er selbst beendete sein ehrenwertes und erfolgreiches Engagement nach der Saison 2006.

Wer nun denkt, dass Hans-Dieter Kessler sich in den motorsportlichen Ruhestand begab, der wird verblüfft sein: Erstens steht für "Notfälle" ein seltener Matra Morena in der Garage. Den zeigt er mit Vorliebe bei Bergrennen. Und Zweitens hat er vor nicht allzu langer Zeit seine vorerst letzte motorsportliche Bestimmung gefunden: Die "GORM-open" mit ihrem Kernrennen, der "Libya Rally Raid" in der Sahara. "Wüstenrennen sind eine besondere Herausforderung: Hier muss der Fahrer auch technisches Verständnis haben und improvisieren können. Und das haben wir in der DDR gelernt." Dem drahtigen Tabarzer mit dem verschmitzten Blick merkt man deutlich die Begeisterung und den Spaß an, den er an seiner neuen Herausforderung findet. Hans Dieter Kessler bestreitet diese Wettbewerbe auf Mercedes G und ML-Modellen. Schon der äußere Eindruck seiner Rennfahrzeuge vermittelt die gleiche Akribie und Detailbesessenheit in technischen Fragen, wie wir sie von ihm seit DDR-Zeiten kennen. Die Einheit: Fahrer-Techniker-Konstrukteur ist und bleibt sein Gütesiegel.

Und auch Rückschläge kann ein Mann wie Hans-Dieter Kessler verkraften. Von der letztjährigen Rallye aus Libyen kam er ohne Auto zurück. Durch einen Defekt in der Zweikammer-Tankanlage hatte sein Fahrzeug Feuer gefangen und war restlos abgebrannt. Das eigentliche Problem wartete aber bei der Zollabfertigung an der Grenze: Wer mit Auto einreist, muss auch mit Auto wieder ausreisen. Bis zur Klärung aller Formalitäten musste der Thüringer über eine Woche auf seine Ausreise warten - für einen gelernten DDR-Bürger jedoch eine vergleichbar leichte Übung.


Schönstes Erlebnis:

"Das Jahr 1985 gehörte zu den schönsten in meiner sportlichen Laufbahn. Ich war gut vorbereitet und das ganze Jahr über als Doppelstarter unterwegs. Einmal im "Zassi" um die DDR-Meisterschaft und dann mit dem MT77 in der Bestenermittlung für Formelrennwagen. Die Saison war super erfolgreich, ich habe am Ende beide Klassen gewonnen. lch bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich an die zu DDR-Zeiten üblichen Zuschauerkulissen denke. Tausende Fans waren an den Strecken, peitschten uns nach vorn und jubelten. Dieses Gefühl konnte ich in diesem Jahr als Doppelstarter natürlich auch doppelt genießen. So oft wie 1985 hatte ich vorher noch nie ganz oben auf dem Podest gestanden und es sollte mir auch leider danach nicht wieder gelingen..."

Schlimmstes Erlebnis:

Sachsenring 1987: "Ulli Melkus führte in der Startrunde. Ich fuhr in einem engen Verfolgerpulk unmittelbar hinter ihm und es ging in vollem Tempo - etwa 160 km/h - in die enge Häuserschlucht der Stadt Hohenstein-Ernstthal hinein. Irgendwie kam ich mit dem Vorderrad an eine erhöhte Bordkante einer Toreinfahrt. Wie von einer Rampe angehoben stieg mein MT77 auf. Ich kann mich bis heute an den Unfall selbst nicht erinnern. Unfallzeugen sahen dann die anderen Rennautos unter mir durchfahren. Ich prallte in über drei Metern Höhe an die Häuserwand und fuhr wohl etliche Meter darauf entlang, bis das Auto wieder auf die Straße zurückschleuderte und zerschellte. Der Zustand der Unfallstelle sprach Bände. Über viele Meter lagen Trümmerteile meines MT77, der ohne die linken Räder auf der anderen Straßenseite liegen blieb. Und an der Häuserwand fand man in knapp drei Metern Höhe noch Tage später meine Reifenspur. Eine Kompanie von Schutzengeln hatte mich und Andere vor ernsthaften Verletzungen bewahrt..."

Ziele:

"Heute teile ich mir meine Kräfte natürlich ein und bin nicht mehr "Hans Dampf in allen Gassen". Mir machen die Wüstenrennen im Rahmen der GORM-Serie sehr viel Spaß. Als ich dort zum ersten Mal startete, war ich für die anderen Teilnehmer ein unbeschriebenes Blatt. Keiner kannte mich, geschweige meine Motorsport-Vergangenheit. Nach vier Jahren habe ich dort aufgrund meiner Leistungen Akzeptanz gefunden und bin integriert in die kleine Gemeinde von Wüsten-Verrückten aus aller Herren Länder. Ost und West spielen hier keine Rolle. Es dominieren die Gemeinsamkeiten und wie wir es schaffen, die Wüste zu bewältigen. Ich kenne inzwischen die Mercedes G-Klasse aus dem Effeff und restauriere gerade ein solches Fahrzeug. Nach meinem beruflichen Ruhestand finanziere ich mir damit die Rallyeteilnahme. Wüstenrallyes sind weitaus weniger berechenbar als Rundstreckenrennen. Aber ein Gesamtsieg schwebt mir schon noch vor..."